buntES die Intergenerative & Interkulturelle Interessengemeinschaft in Esslingen
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YUITO WATANABE (Japan) schreibt ...

 

Mein Name ist Yuito Watanabe*. Ich bin 46 Jahre alt. Von der Nationalität her bin ich ein Deutscher mit japanischem Migrationshintergrund. Ich finde, dieser Ausdruck ist super, denn so etwas gibt es sicherlich nur in Deutschland. Meine Kinder sind halb japanisch und halb deutsch.

 

Seit 1997 lebe ich in Deutschland. Die erste Station war Berlin. Dort studierte ich Fahrzeugtechnik und davor, in Japan, habe ich Maschinenbau studiert. Durch mein Studium in Berlin bekam ich bei einem schwäbischen Unternehmen eine Stelle und wohnte für ein paar Jahre in Stuttgart. Dort lernte ich meine Frau kennen. Seit 2009 wohnen wir in Esslingen.

Als ich Kind war, schaute ich jeden Sonntagvormittag eine Sendung, die frei übersetzt "Kinder aus aller Welt"hieß, sehr gerne an. Das Alltagsleben von Kindern aus verschiedenen Ländern wurde dort vorgestellt. Damals hat mich das Leben in Europa irgendwie fasziniert.

 

Als ich in Japan studierte bekam ich 1990, trotz meiner dürftigen Englischkenntnisse, glücklicherweise einen Auslandpraktikumsplatz und zwar in Luxemburg. In Japan gab es damals im Allgemeinen kein Praktikum. Keiner brauchte es und keiner wollte es machen. Wenn ein Praktikumsangebot im Ausland war, winkte jeder Student ab.

 

Ich muss hier noch ergänzen, dass Englisch in Japan während der Schulausbildung sechs bis acht Jahre gelernt wird. Die Prüfung ist aber nur schriftlich, also mehr Multiple-Choice-Fragen und Lesen. Hören und Verstehen stehen nicht auf der Tagesordnung. Daher trauen sich die Studenten oft nicht ins Ausland zu gehen.

 

Zurück zu meinem Praktikum im Ausland. Ich war für zwei Monate in Luxemburg. Das war  wirklich ein Kulturschock. In Japan arbeitet man ganz lange, bis 19 oder 20 Uhr ist keine Seltenheit. Danach fährt man mit dem Zug ein bis eineinhalb Stunden nach Hause. Manchmal sogar noch länger wenn man sich keine Wohnung in der Nähe vom Bahnhof leisten kann. Vor kurzem hatte ich mit einer japanischen Firma zu tun. Ich habe hier bei uns um 16 Uhr eine E-Mail aus Japan bekommen. Dort war es aber ca. 24 Uhr!

 

In Luxemburg habe ich es anders erfahren. Die Kollegen kamen um 8 Uhr zur Arbeit und machten um 17 Uhr Feierabend. Außerdem wohnten sie nur ca. 20 Minuten vom Arbeitsplatz entfernt. Da musste ich wirklich nachdenken, was der Sinn des Lebens ist.

 

Ich kam relativ schnell zu der Feststellung, dass in Japan nach dem Motto  "das ist normal so, und alle anderen machen es auch so" das Problem sofort runter gespielt wird. Allerdings kann ich für mich sagen, dass ich schon seit meiner Kindheit mit der Mentalität "Du bist ok, wenn Du es wie die anderen machst"  ein Problem hatte. Ich habe festgestellt, dass es auch eine andere Art des Lebens als das in Japan gibt und so wollte auch ich mein Leben leben. Jedoch gibt es in der Welt nicht so viele Auswahl, wenn man in einer bestimmten Richtung etwas machen will.

 

Wegen meines Privatstipendiums von einer Firma, war ich gebunden und musste für sechs Jahre dort nach meinem Studium arbeiten. Eine frühzeitige Kündigung bedeutete, dass ich an die Firma ca. vierzigtausend Euro zurückzahlen müsste. Ich wäre jedoch erst mit 30 Jahren frei gewesen. Nach meiner Vorstellung wäre das ja schon zu alt gewesen. Das durchschnittliche Alter für den Arbeitsbeginn eines  Akademiker in Japan ist zwischen 22 und 23 Jahre.

Zufälligerweise traf ich eine alte Bekannte aus meiner Kindheit wieder, die Japan auch verlassen hatte und in Berlin wohnte. Sie klärte mich auf, dass es nicht zu spät sei, wenn man in Deutschland erst mit 30 Jahren anfängt, zu arbeiten. Ich glaubte ihr und habe dann auch die Erfahrung gemacht, dass das zutrifft.
 

Meine erste Begegnung mit Deutschland war, wie bereits erwähnt, mit Berlin. Der Berliner Akzent ist nicht gerade der Freundlichste. Die ersten zwei bis drei Monate meines Aufenthaltes hörte ich auf der Straße entweder "Nöö" oder "Käne Ahnung". Irgendwann  legte sich mein Entsetzen und ich stellte fest, dass die Berliner nicht böse sind. Das war schon mal eine kleine Wende.

 

1998 kam ich nach Stuttgart und mein Diplomarbeitsbetreuer war ein echter Schwabe. Bis ich ihn verstehen konnte, hatte  ich eine harte Zeit. Ein typischer Spruch von ihm war: "Desch isch aber Wurscht!". Ich stand vor ihm - ein großes Fragezeichen im Kopf.

 

Eine sprachliche Schwierigkeit verfolgt mich aber immer noch.  Als ehemaliger Japaner kann ich nicht "L" und "R" unterscheiden. Zu verstehen ist mittlerweile weniger problematisch, aber meine Aussprache bekomme ich immer noch nicht in den Griff. Vor kurzem verlangte ich in der Vesperkantine ein "Fleischküchle". Die Kassiererin machte große Augen und fragte "Reisküchle"???
 

In Japan muss man sehr darauf achten, was die anderen machen oder denken. Diesbezüglich habe ich nicht die japanischen Feinheiten und fühle ich mich in Deutschland sehr wohl. Es gefällt mir sehr gut, dass man in Deutschland seine Meinung aussprechen kann bzw. darf. In Japan ist es auch nicht verboten, aber wenn man die Stimmung von anderen nicht fein lesen kann, könnte es große Schwierigkeiten geben (und ich beherrschte damals diese Technik nicht so richtig...). Darüber hinaus profitiere ich hierzulande von der problem- und

themenorientierten Denkweise der deutschen Mentalität.

 

Als Esslinger wünsche ich mir in einigen Stadtteilen eine noch bessere Verkehrsverbindung und in der Innenstadt eine Verbesserung des Parkplatzangebotes. [Yuito Watanabe]

 

* Name von der Redaktion geändert.

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