buntES die Intergenerative & Interkulturelle Interessengemeinschaft in Esslingen
buntES die Intergenerative & Interkulturelle Interessengemeinschaftin Esslingen

Alexander Wroblewski

(Konrektor und Lehrer an der GMS Seewiesenschule)

 

Foto: AW

Miteinander im Gespräch bleiben

 

Die Leitgedanken des Faches Deutsch im neuen, gemeinsamen Bildungsplan der Sekundarstufe 1 beginnen wie folgt: „Sprache ist ein Schlüssel zur Welt. Sie eröffnet vielfältige Zugänge zur Wirklichkeit genauso wie zu personalen und sozialen Denk- und Handlungsmustern und ist unverzichtbar für die Klärung der Beziehung zwischen Individuum und Außenwelt.“

 

Was ist unsere Welt und Wirklichkeit?

 

In Deutschland wie in ganz Europa ist seit Monaten das Thema der vielen flüchtenden Menschen vorherrschend. In diesem Zusammenhang wird unsere Wirklichkeit hier in Baden-Württemberg und damit auch in Esslingen vor die Frage gestellt: Wie gehen wir damit um, dass viele Menschen aus dem Ausland plötzlich zu einem Teil unserer Gesellschaft werden? Und: Welche Mittel haben wir, um diesen Prozess der Aufnahme möglichst positiv zu gestalten? Des Weiteren rückt noch allgemeiner die Frage ins Zentrum, welche Integrationsbemühungen wurden bereits vor den großen Flüchtlingsströmen unternommen? Wie zufrieden sind wir mit dem Status Quo von Integration in unserer Gesellschaft? Schließlich kommen Menschen seit Jahrzehnten nach Deutschland oder leben als der Teil der Nachfolgegenerationen hier.

 

Nun bin ich kein Integrationswissenschaftler, sondern kann nur Antworten als Konrektor und Deutschlehrer der Seewiesenschule, einer Gemeinschaftsschule mit Primarstufe im Esslinger Norden, geben. Ich beschränke mich daher auf den schulischen Kontext, dem, wie von vielen Seiten behauptet, im beschriebenen Integrationsprozess als einem Ort von früher sprachlicher Verständigung eine zentrale Rolle zukommt.

 

Aus meiner eigenen Grundschulzeit in einer Kleinstadt westlich von Stuttgart kann ich mich noch gut erinnern, dass „der kulturelle Mix“ auch damals Normalität in vielen Grundschulklassen war. Neben Schülern* deutscher Herkunft hatte ich beispielsweise auch Mitschüler mit einem griechischen, russischen, türkischen oder italienischen Migrationshintergrund. (Ich selbst habe übrigens einen halbenglischen). Die Verständigung und damit auch die Klassengemeinschaft funktionierten. Eine Beobachtung, die ich auch heute in vielen Grundschulklassen mache.

 

Was nach Klasse 4 kam, ist die bekannte frühe Trennung, die Kinder auf unterschiedliche weiterführende Schulen verteilte. Problematisch war für mich immer, dass beispielsweise größere sprachliche Defizite eine Gymnasial- oder Realschulempfehlung schnell unmöglich machten – obwohl die Leistungen in Mathematik gut waren. Eine Situation, die sicherlich auch auf einige Flüchtlingskinder zutrifft.

 

Durch den Wegfall der verbindlichen Grundschulempfehlung sind Eltern nun freier. Jeder kann es auch auf der „nächsthöheren Schulart“ probieren, um seinem Kind die bestmögliche Bildung zu ermöglichen. Auf der anderen Seite sprechen die Zahlen der Sitzenbleiber eine deutliche Sprache. Folglich will wohl überlegt sein, ob ich meinem Kind ein eventuelles Scheitern zumuten und damit den Lernweg an sich gefährden will. An dieser Stelle ist das Gymnasium nämlich in Schutz zu nehmen. Hier zählte schon immer das erweiterte Niveau, das eine vertiefte Bildung vorsieht. Spezielle individuelle Förderung, die größere Lücken bei Schülern in einzelnen Fächern gleich zu Beginn von Klasse 5/6 schließt, ist beim bisherigen Profil mit seinen wenigen Förderungs- und Differenzierungsstunden schwer leistbar.

 

Wenn Integration durch sprachliche Verständigung in der Schule beginnt und hier gelingen soll, sind für mich vor allem zwei Signale fatal:

zum einen die frühe Auflösung der Klassengemeinschaft nach Klasse 4 und zum anderen

die Überforderung von Kindern durch eine Verteilung auf Schularten, die nur ein Niveau vorsehen: Geht das Kind auf ein Gymnasium, hat es auch in allen Fächern auf gymnasialem Niveau Leistung zu erbringen. (Dabei steht außer Frage, dass es Schüler gibt, für die genau das der richtige Weg sein kann, aber eben nicht für alle, vgl. „Scheitern“ weiter oben).

Beide Punkte vertun eine große Chance für unsere Gesellschaft, die sich ein Scheitern von ganzen Bildungsbiografien vor dem Hintergrund des demographischen Wandels nicht leisten kann.

 

An dieser Stelle hält die Gemeinschaftsschule, am besten mit eigener Primarstufe, wichtige neue Ansätze bereit. Schülerinnen und Schüler dieser Schulart können von Klasse 1 bis 10 gemeinsam lernen und – bei entsprechender Befähigung – direkt danach auf ein allgemein bildendes Gymnasium gehen (falls an der GMS keine Oberstufe vorhanden ist). Die gewachsenen Strukturen und das Miteinander aus der Grundschule müssen nicht aufgegeben werden. Im Gegenteil, unsere Viertklassklassenlehrerinnen begleiten ihre Schüler mit in die Sekundarstufe und entstandene Beziehungen können so erhalten bleiben.

 

Daneben ermöglicht der neue gemeinsame Bildungsplan individuelles Lernen auf drei Niveaus: dem grundlegenden („Hauptschul-“), dem mittleren („Realschul-“) und dem erweiterten („gymnasialen“) Niveau. Wichtigste Besonderheit: Dies kann sich für größtmögliche Erfolgserlebnisse bis zum Abschluss von Fach zu Fach unterscheiden.

 

Wir sind mit der Gemeinschaftsschule mittlerweile in Klasse 7 angekommen und unsere Erfahrungen zeigen, dass wirklich alle davon profitieren. Es gibt unterschiedliche Inputs und Vertiefungsangebote, immer auf dem jeweils passenden Niveau. Daneben wird wie in der Grundschule von- und miteinander gelernt. Ein schwächerer Schüler bekommt etwas von einem stärkeren Schüler erklärt und beide können auf diese Weise Fortschritte auf ihrem Lernweg machen.

 

Wenn Sprache der Schlüssel zur Welt ist und wir uns ein friedliches Mit- statt Nebeneinander in unseren Städten und Gemeinden wünschen, müssen wir auch die Kinder und Jugendlichen miteinander sprechen lassen und diese Verständigung möglichst nicht zu früh unterbrechen. Wenn es uns in der Schule nicht gelingt, ein gemeinsames gesellschaftliches Bewusstsein aufzubauen, werden darauf aufbauende Maßnahmen kaum mehr Erfolg haben.

 

 

*Der einfacheren Lesbarkeit halber wird nur die männliche Form verwendet. Es sind jedoch stets beide Geschlechter gemeint.

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