buntES die Intergenerative & Interkulturelle Interessengemeinschaft in Esslingen
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Mohammad erzählt seine Geschichte:

Ich bin Mohammad aus Damaskus (Syrien). Ich bin 19 Jahre alt und wohne in Esslingen. Seit einem Jahr bin ich in Deutschland. Drei Jahre nach Beginn des Bürgerkriegs in Syrien floh ich mit meinen Eltern und Geschwistern nach Ägypten. Damals konnten Syrer in Ägypten einen Aufenthalt ohne Visum erhalten. Ich ging dort ins Gymnasium. Meine Familie blieb nur ein Jahr in Ägypten und ging dann nach Saudi Arabien. Ich wollte nicht mitkommen, weil ich in Ägypten weiter zu Schule gehen wollte, denn das Gymnasium dort war besser als das in Saudi Arabien. Also blieb mein Vater bei mir, während meine Mutter und meine Geschwister nach Saudi Arabien gingen. Als ich mein Abitur beendet hatte, wollten mein Vater und ich nach Saudi Arabien zu meiner Familie nachkommen. Aber wir erhielten wegen der in Saudi Arabien zunehmenden syrischen Flüchtlingssituation keine Aufenthaltserlaubnis. Wir entschieden uns, nach Deutschland zu fliehen; ohne meine Mutter und meine jüngeren Geschwister. Das war die schwerste Entscheidung in unserem Leben.

 

Die Reise nach Deutschland begann in Ägypten. Dort lernte ich einen Schlepper kennen. Er versicherte meinem Vater und mir, dass wir mit einem guten und großen Schiff bis Italien fahren wurden. Dafür bezahlten wir 4.000 U$. Ich erfuhr, dass Syrer doppelt so viel bezahlen mussten wie Menschen aus anderen arabischen Ländern. Aber wir mussten einfach handeln.

Foto: Mohammad

Eines Tages bekamen wir eine Nachricht, dass das Schiff bereit war und wir konnten losfahren. Ich traute meinen Augen nicht! Das Schiff war ein Dieselboot, das nur ca. 12m lang und ca. 5m breit war.

Die ersten zwei Tage waren wir nur ca. 110 Passagiere. Am dritten Tag waren wir ca. 370 Menschen an Bord. Wir waren Frauen, Schwangeren, Kinder und Männer. Sieben Tage lang waren wir auf dem Meer.

 

Damit wir unsere Verdauung nicht so sehr belasten, aßen mein Vater und ich in dieser Zeit nur ein paar Datteln und tranken möglichst auch nur wenig Wasser. Das vermischte sich aber leider im Lauf der Zeit mit dem Diesel. Für mich war es schon unangenehm genug, wenn ich mein Geschäft machen musste. Für die Frauen muss es noch schlimmer gewesen sein.

Foto: Mohammad

Das Meer war oft wild. Es gab bis ca. zwei Meter hohe Wellen. Viele Passagiere übergaben sich. Beim Schlafen galt das "Sardinien Prinzip". Menschen schliefen übereinander, weil es kein Platz für fast 400 Passagiere gab. Am achten Tag endete dieser Albtraum. Wir wurden von einem Containerschiff im Seegebiet zwischen Griechenland und Italien gerettet. Zwei Tagen waren wir auf dem Containerschiff, der uns nach Italien brachte. Endlich konnten wir richtig essen, trinken und uns sauber machen. Nach 12 Tagen erreichten wir Deutschland.

 

Ca. ein Monat blieben mein Vater und ich in Karlsruhe und danach kamen wir in Esslingen an. Wir hatten es so verstanden, dass wir in einer Wohnung bleiben konnten. Es war aber keine Wohnung mit einzelnen Zimmern, sondern eine Wohnung in der Sporthalle in Esslingen-Zell. Es gab kleine Kabinen wie in einer Baracke ohne Privatsphäre. Am Anfang gab es ca. 50 Personen aber irgendwann waren es 105 Personen aus unterschiedlichen Ländern. Zunächst wollten wir „unsere neue Wohnung“ nicht akzeptieren, aber wir hatten keine andere Wahl. Also wohnten wir hier ungefähr fünf Monate lang. Wir hatten Glück. Die anderen sind bis heute noch dort. (Während des Interviews erhielt Mohammad eine Nachricht per Smartphone, dass ein großer Marktplatz in Damaskus mit einer Rakete angegriffen wurde. Viele Menschen waren tot. – Interviewerin.)

 

Deutschland kannte ich zuvor als ein modernes Land mit Industrie und Technologie. Ich stellte mir vor, dass die Städte in Deutschland aus Wolkenkratzern bestehen, so ähnlich wie in Frankfurt. Das stimmt aber nicht. Jetzt sehe ich, dass viele Städte Deutschlands doch wenig Hochhäuser, aber stattdessen viele schöne historische Gebäude haben. Esslingen ist für mich eine besondere Stadt. Vielleicht, weil ich hier lebe und die Stadt langsam immer besser kennen lerne. Nicht nur städtebaulich ist die Stadt Esslingen schön, sondern auch die Menschen. Leute, die wir kennen, sind freundlich und hilfsbereit.

 

Das Leben in einem neuen fremden Land ist nicht einfach, insbesondere am Anfang. Gottseidank helfen uns viele Menschen, insbesondere von der Kirchengemeinde in Esslingen-Zell. Obwohl wir jetzt nicht mehr in der Sporthalle leben, sondern in einer Wohnung wohnen, haben wir bis heute noch Kontakt mit ihnen. Ich gehe manchmal zum wöchentlichen Treffen, dem Kulturcafé in Esslingen-Zell, das die Kirchengemeinde organisiert (siehe den Artikel über Helferinnen und Helfer im Kulturcafé Esslingen-Zell unter der Rubrik „Willkommenskultur“/Presse, red.). Diese Menschen gaben uns allgemeine Informationen und Hilfen, z.B. bei Behörden, Krankenversicherung, usw. Sie versuchten auch, uns in die Esslinger Gesellschaft zu integrieren. Dafür danken wir ihnen besonders. Nicht nur die Menschen der Kirchengemeinde Zell sind nett zu uns, auch die in der Moschee, in die mein Vater und ich oft hingehen. Sie halfen uns bei der Übersetzung. Ebenfalls habe ich eine gute Freundschaft mit den anderen Mitbewohnern in der Sporthalle Zell. Mit manchen treffe ich mich immer noch regelmäßig.

 

Das Leben in Deutschland ist ganz anders als in Syrien. Hier in Deutschland haben wir Freiheit und können ohne Angst zu haben, unsere Meinung zu äußern. Wenn man in Syrien der Meinung der Regierung wiederspricht ist  man in Lebensgefahr. Seit mehr als 40 Jahren leben Leute in Syrien in der Unterdrückung der Regierung. Nur als Muslim einer bestimmten regierungskonformen Richtung ist es möglich, dass man in der Armee Karriere macht. Wenn man nicht dazu gehört, muss man zu dieser Richtung konvertieren. Das Zusammenleben verschiedenen Religionen in der restlichen Gesellschaft funktioniert friedlich. Für mich ist es ganz normal, dass meine Freunde unterschiedliche Religionen haben. Darüber hinaus beherrscht der Familienklan der Regierung den Großteil der Wirtschaft in Syrien. Es ist sehr traurig, dass der Krieg, die schlechte Regierung und das schlechte politische System mein geliebtes schönes Land ruinieren.

 

Was mir in Deutschland auffällt ist, dass einerseits die Deutschen nicht viele Kinder haben, andererseits aber die Angebote für Kinder enorm groß sind, wie z.B. Schulferienprogramme, Ermäßigungen zum Eintritt in verschiedenen Einrichtungen, usw.

 

Ich bin noch jung. Ich habe hier eine bessere Zukunft vor mir und ich weiß, dass ich das schaffen werde. Ich lerne jetzt Deutsch und habe mir vorgenommen, dass ich in Deutschland im Fachbereich Ingenieurwissenschaft studieren möchte. Ich hoffe sehr, dass ich diesen Traum verwirklichen kann.

 

Mein anderer Traum ist, dass der Krieg in Syrien eine Ende hat und die Situation im Land wieder so wird wie ich sie kenne. [Adi]

 

Anmerkung von der Interviewerin:

Mohammad lernt erst seit sechs Monaten Deutsch. In der kurzen Zeit spricht er bereits gut Deutsch. Von seinem selbst hier in Deutsch geschriebenen Artikel versteht man gut, was er erzählen möchte. Um noch mehr ausführliche Informationen zu erhalten, wurde ein zusätzliches Interview mit ihm geführt. Der Artikel wurde von der Redaktion verbessert.

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