Familienzusammenführung
Im Jahr 1979 stellten wir in der damaligen DDR einen Ausreiseantrag. Als Grund gaben wir Familienzusammen- führung an, denn meine Schwiegereltern, die damals bereits krank waren, hatten das Bedürfnis uns und die Enkelkinder noch zu Lebzeiten bei sich zu haben.
Kaum war der Antrag abgegeben, erhielt ich Berufsverbot.
Zu diesem Zeitpunkt arbeitete ich bereits seit 7 Jahren als Lehrerin und war damit für den Staat der DDR nicht mehr tragbar.
Vier lange Jahre dauerte es, bis wir endlich ausreisen durften.
Am 03.08.1983 war es endlich soweit! Voller Freude stiegen wir mit unserem wenigen Gepäck und ohne eine müde Mark in den Zug, der uns in die BRD bringen sollte. Doch die Angst fuhr mit, denn wir wussten ja nicht, ob man uns, aus welchem Grund auch immer, wieder aus dem Zug holen und in die DDR zurückführen würde.
Als der Zug dann aber über die Grenze rollte, fielen uns ganz viele Steine vom Herzen und eine große Freude, es endlich geschafft zu haben, machte sich breit. In Hannover standen schon Onkel und Tante am Bahngleis und übergaben den Kindern eine Tüte mit Obst und Süßigkeiten und uns 50,-DM. Die leuchtenden Kinderaugen waren das schönste Dankeschön, welches man sich vorstellen konnte. Glücklich kamen wir gegen 24.00 Uhr in Stuttgart an, wo uns schon die ganze Familie erwartete, die all die Jahre mit uns gemeinsam auf diesen wundervollen Moment gehofft hatte.
Im August 1983 durften wir im Zuge der Familienzusammen-führung aus der DDR in die BRD ausreisen. Nach viel langen Jahren, mit Berufsverbot und vielen Repressalien in Esslingen angekommen, wollten wir so schnell wie möglich zu arbeiten beginnen. Unser oberstes Ziel war es für die Familie eine neue Existenz aufzubauen.
Mein Mann fand bereits im September eine Anstellung bei der Firma FESTO. Aber mir offenbarte man schon sehr bald, dass meine DDR-Ausbildung zur Diplomlehrerin in der BRD nicht anerkannt werden könne. Das war natürlich ein herber Rückschlag, denn ich war so froh, es nach all den Entbehrungen endlich in die BRD geschafft zu haben.
Es gab nun nur die eine Möglichkeit für mich, ich musste mich, nach immerhin bereits sieben Jahren Berufserfahrung in der DDR, nochmals dem ganzen Prüfungsstress hingeben, wollte ich nicht als „ungelernte Kraft“ gemeinsam mit meinem Mann für den Lebensunterhalt sorgen.
Also, was blieb mir übrig? An der Pädagogischen Hochschule in Ludwigsburg absolvierte ich mein 1. Staatsexamen, besuchte Seminare und Praktika, machte mein Referendariat und das 2. Staatsexamen. Im Sommer 1986 war es endlich soweit, alle Mühen hatten sich gelohnt und ich erhielt alle so sehr ersehnten Papiere, die mich von nun an wieder als vollwertige Lehrerin arbeiten ließen.
Diesen Glücksmoment, endlich wieder „WER“ zu sein kann ich auch heute noch nicht in Worten ausdrücken. Zu diesem Glück gesellte sich dann schon bald eine Festanstellung an einer Schule in Stuttgart. Von diesem Zeitpunkt an hatten wir alles was zu einer rundherum glücklichen Familie gehört und sehr schnell waren alle Strapazen vergessen, die bis dahin unsere Wege gesäumt hatten. (Gudrun Becker)