Die Helferinnen und Helfer
im Kulturcafé Esslingen Zell
Helferinnen und Helfer gibt es überall. Sie unterstützen Leute, die Hilfe suchen. Sie haben offene Ohren und offene Arme für die, die Sorgen haben. Im evangelischen Gemeindehaus Zell, wo das Kulturcafé jeden Mittwoch stattfindet, gibt es diese Helferinnen und Helfer. Die Ehepaare Schüle und Röcker und die anderen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer empfangen von Woche zu Woche die Männer von der Flüchtlingsunterkunft in Esslingen Zell mit ihrer freundlichen Begrüßung und herzlichen Bedienung, ebenfalls die anderen Gäste, die gelegentlich, aber auch regelmäßig kommen. Seit seiner Gründung ist das Kulturcafé eine Oase für viele junge Flüchtlinge und Asylbewerber, die u.a. aus Eritrea, Gambia, Palästina und Syrien kommen. Viele von ihnen leben bis heute (Sommer 2015) noch in der Turnhalle der Berufsschule Friederich-Ebert-Schule in Zell.
Gründung des Kulturcafés
Als die überwiegend jungen Männer im September 2014 in der Gemeinschaftsunterkunft der Turnhalle Zell ankamen, ergriff Dorothee Ernst, eine ev. Pfarrerin, die an der Berufsschule in Zell Religion unterrichtet, die Initiative, ein Begegnungsfest zwischen den Berufsschülerinnen und Berufsschülern und den Flüchtlingen zu veranstalten. Kurz danach hat ein Infoabend von u.a. der Arbeitswohlfahrt (AWO) und dem Arbeitskreis Asyl im ev. Gemeindehaus Zell stattgefunden. Gleich an diesem Abend wurden mehrere Arbeitsgruppen gebildet, um die Flüchtlinge zu unterstützen. Die Hilfsangebote wurden von der evangelischen und katholischen Kirchengemeinde in Kooperation mit dem Bürgerausschuss Zell initiiert. Neben einer Kleiderkammer wurden Deutschkurse angeboten sowie eine Fahrradwerkstatt.
An dem Abend schlug Irmela Schüle, die in der ev. Gemeinde Zell aktiv ist, ganz spontan ein regelmäßiges Treffen zur Begegnung mit den Flüchtlingen vor; ein Begegnungscafé sollte es sein, heute als Kulturcafé bekannt. Eva Röcker, ebenfalls aktiv in der ev. Gemeinde, wollte sofort mitmachen. Bis heute unterstützen die beiden Damen das Kulturcafé mit voller Kraft. Zur Vorbereitung wurden Plakate mit einer Einladung zum Kulturcafé in der Turnhalle verteilt.
Die erste Veranstaltung war am 22.Oktober 2014 und das Kulturcafé findet bis heute im evangelischen Gemeindehaus in der Kirchstr. 11/1 Esslingen Zell statt. Gleich bei der ersten Caféstunde war das Gemeindehaus überfüllt. Die Männer von der Gemeinschaftsunterkunft waren froh, dass sie zu einer solchen Begegnung eingeladen worden waren. Die Begegnung mit primär der ev. Kirchengemeinde bzw. den Helferinnen und Helfern im Kulturcafé war der erste regelmäßige Kontakt für die Flüchtlinge und Asylbewerber aus Zell, der bis heute sehr gut hält. In den ersten Monaten kamen bis ca. 50 Männer von der Sporthalle. Zurzeit kommen jede Woche durchschnittlich ca. 20-30 Leute.
Mehr als zum Kaffetrinken
Nicht nur Kaffee und andere Getränke werden von den Helferinnen und Helfer an jedem Mittwoch zwischen 16:00 und 18:00 Uhr bereitgestellt, sondern auch leckere Kuchen verschiedener Sorten und Nüsse! Die Kuchen werden seit Monaten von einigen freiwilligen Bäckerinnen des ev. Gemeindehauses in Zell gespendet. Nüsse, insbesondere die Erdnüsse, dürfen nicht fehlen, denn sie sind die Favoriten der jungen Männer aus den arabischen und afrikanischen Ländern.
Das Kulturcafé bietet jedoch mehr als nur zum Trinken und Essen an. Seit Beginn der Veranstaltung bereiten Irmela Schüle und ihr Ehemann Ferdinand Schüle beim jeden Treffen unterschiedliche Programme vor. Sie erinnern sich an ihr erstes Programm. Das war, neben Kaffee und Kuchen, ein Infoprogramm namens "Bilder von Zell". Die Bilder zeigten den Stadtteil Zell und seine Umgebung sowie Informationen über die Bus- und Bahnlinien von Zell. Für die Neuankömmlinge war eine solche Information interessant und wichtig. Jeden Mittwoch bietet das Ehepaar Schüle ein Programm an, deren Inhalte sind z.B. das Kennenlernen der deutschen und anderer Kulturen, die Geschichte Deutschlands, deutsche Festtage, usw. Nicht nur das, ein Spielnachmittag oder ein Angebot zum Trommelspiel wird auch umgesetzt.
Die Schüles sind bei der Durchführung des Kulturcafés aber nicht alleine. Eva Röcker und ihr Ehemann Peter Röcker sind ebenfalls immer da und übernehmen sofort die Regie, wenn das Ehepaar Schüle nicht kann. Bis ca. neun Personen sind die treuen Helferinnen und Helfer im Kulturcafé. Sie sind ehrenamtliche Helfer bei der Raumvorbereitung, der Bedienung mit Kaffee und Kuchen, aber auch freiwillige Helfer, die den Asylsuchenden z.B. mit dem Papierkram von Behörden helfen, womit die Männer oft konfrontiert werden. Eine wöchentliche Begegnung tut den Männern von der Flüchtlingsunterkunft gut, so können sie regelmäßig für ein paar Stunden in einer anderen Atmosphäre außerhalb der Turnhalle etwas Schönes machen. Die gemeinsame Kaffeestunde im ev. Gemeindehaus ist aber nicht nur eine Begegnungsstunde, sondern auch ein Ort, wo die Flüchtlinge und Asylbewerber ihre Probleme, Sorgen und Ängste erzählen können. Ein Ort, an dem sie nicht alleine sind, denn sie wissen Bescheid, dort gibt es jemanden, der ihnen zuhört, ihnen hilft oder vielleicht ihre Probleme löst.
Das Kulturcafé fand im Laufe der Zeit ein immer größeres Echo. Neben den treu besuchenden Asylbewerbern kommen auch Freunde und Gäste aus unterschiedlichen Orten außerhalb des Stadtteils Zell, sogar aus dem Landkreis Esslingen. Manche von ihnen machen den Männern Hilfsangebote, z.B. freiwillige Beschäftigungen und Praktikumsangebote bei unterschiedlichen sozialen Einrichtungen oder private Einladungen zum Essen bei einzelnen Personen. Seit einigen Wochen können die Männer vor und während der Kaffeestunde eine Migrationsberatung für arabisch sprachige Flüchtlinge besuchen. Ein anderes Angebot: Nach der Kaffeestunde kann, wer möchte, zum Malen gehen. Die beiden Angebote sind kostenlos und finden ebenfalls im ev. Gemeindehaus statt. Inzwischen hat das Kulturcafé die Funktion einer Anlaufstelle für andere Gruppen, die genauso wie das Kulturcafé zu der Aktivität "Zell-Hilft" gehören (http://www.zell-am-neckar.de/zell-hilft/).
Die zuverlässigeren Begleiterinnen und Begleiter
Beim Kulturcafé ist das Ehepaar Schüle nicht nur für das wöchentliche Programm verantwortlich, sondern auch für die Organisation. Zusammen mit dem Ehepaar Röcker engagieren sie sich für Dinge jenseits des Kulturcafés. Sie begleiten die Männer zur Behörde und zum Arzttermin, helfen ihnen bei der Wohnungssuche, usw. Die Eheleute Röcker und Schüle können keinen Aufenthaltsstatus von Flüchtlingen, die noch auf ihren Asylverfahren warten, ändern. Sie helfen den Männern mehr von der menschlichen Seite. Sachen, die weder das Landratsamt, noch die Arbeitswohlfahrt (AWO) umsetzen können. Das Landratsamt Landkreis Esslingen ist für Formelles und die Verwaltung zuständig. Die AWO dient als eine Verlängerungsarm zwischen der formellen und informellen bzw. freiwilligen Tätigkeit. In diesem Fall stehen die Schüles und die Röckers zusammen mit den anderen Helfern vom Kulturcafé für die freiwillige Tätigkeit zur Verfügung. Eine Zusammenarbeit mit dem Landratsamt und der AWO ist deshalb wichtig. Um den Flüchtlingen zu helfen, geht es nicht nur darum, dass die Schüles und die Röckers die Flüchtlinge überall hin begleiten oder Papiere ausfüllen. Es geht aber auch darum, die seelische Situation der Betroffenen zu beachten oder die unterschiedliche Denkweise sowie das System in Deutschland zu erklären und zu verstehen. Es ist eine Arbeit, die Zeit und Kraft kostet.
Die Stimmung in der Flüchtlingsunterkunft Esslingen Zell ist nicht immer harmonisch. Auseinandersetzungen oder Unwohlsein und das Leben in der Sporthalle seit Monaten ohne eine klare Zukunft belasten die männlichen Bewohner seelisch. Trotz überall aufgehängter Plakate, dass keine laute Musik in bestimmten Zeiten gespielt werden dürfe, wurde das ignoriert. Wegen der Ungewissheit ob, wann und für wie lange man eine Aufenthaltserlaubnis (bei Eritreer und Gambier) erhält, kommt es zu depressiven Verstimmungen und es entstehen auch Vorurteile. "Die Syrer kriegen die Aufenthaltsgenehmigung gleich und dürfen in Deutschland bleiben, warum wir nicht? Die Syrer sind bevorzugt. Wir kommen nur an zweiter Stelle." Die Befürchtung von z.B. einer Abschiebung ist groß, daher sind die Erwartungen und Hoffnungen von Flüchtlingen hoch, mehr als die freiwilligen Helfer mit ihrer Zeit und Kraft schaffen können. Die Flüchtlinge sind mit vielen Sachen, wie der deutschen Sprache, Bürokratie und Bergen von Papieren überfördert. "Wir bevorzugen niemanden, weder wegen ihres Herkunftslandes, noch in ihrem Asylverfahren. Wir helfen jedem, soweit wir können", betont Eva Röcker. Irmela Schüle sagt den Männern immer: "Wir helfen Euch gerne, aber wir können nicht alle Eure Probleme lösen." Eine solche Situation zwischen gerne-helfen-wollen und nicht-alle-Probleme-lösen-können bringt die Helferinnen und Helfer in eine schwierige Lage und an ihre Grenzen. Nichtdestotrotz sind sie immer wieder und gerne bereit, den jungen Männern von der Sporthalle Zell zu helfen, fühlen sich verpflichtet.
Nach mehreren Monaten Kontakt mit den Asylbewerben haben die Röckers und die Schüles sowohl schöne als auch betrübliche Erfahrungen gemacht. Ein blumiges Lob von einigen Männern wie "Sie sind ein Gottesgeschenk vom Himmel oder Sie sind so schön wie eine Blume" erscheint den Eheleuten ungewöhnlich, ist aber eben die Art der Dankbarkeit aus einer anderen Kultur. Die vier sind sich einig, dass sie von der guten Laune der jungen Flüchtlinge aus Zell beeindruckt waren. Trotz ihrer Probleme und Sorgen lachen sie oft und strahlen. Eine solche Freude macht nachdenklich, wenn man sieht, dass viele Menschen, die in Deutschland gut leben, wenig dankbar sind und sich beklagen. "'Vergiss-das-Danke-nicht' erfahre ich selber von diesen Männern", sagt Eva Röcker gerührt und erinnert sich an einen schönen Moment, als sie gleich drei Blumen von drei jungen Männern erhielt, als die Männer erfuhren, dass der Muttertag in Deutschland gefeiert wird. Grund zum Schmunzeln hatte Eva Röcker, als sie ein Parfum mit einer Schrift "for a sexy woman" bekam. Sie wusste, dass das Geschenk von Herzen kommend war. Es ist ein schönes Gefühl zu erfahren, dass sowohl die Schüles als auch die Röckers eine Art Ersatzmütter und Ersatzväter geworden sind. Ganz traurige Ereignisse erlebten sie mit, als einige von den Männern aus der Entfernung erfahren mussten, dass jemand aus ihrem engsten Familienkreis starb sie weit weg in Deutschland waren.
Hilfe ohne Grenze
Wenn die Ehepaare Röcker und Schüle gefragt wurden, welches "Rezept" sie haben oder wie ihre Annäherung war, können sie keine besondere Methode benennen. "Ich betrachte jeden Flüchtling als Einzelperson, denn jeder von ihnen hat ein eigenes Problem. Es gibt keine pauschale Lösung." sagt Irmela Schüle. "Um Menschen zu helfen, kann man nicht einen Standard festlegen. Wenn es um Menschlichkeit geht, gibt es keinen festen Standard", fügte Ferdinand Schüle hinzu.
Beim Helfen existiert keine Grenze durch Religion, Kultur oder Hautfarbe. Dies wurde von Helferinnen und Helfern, die sowohl von der Kirchengemeinde als auch von außerhalb kommen, bewiesen. Die Mehrheit der Männer in der Turnhalle sind Muslime. Jedoch spielt die Religion bei einer Begegnung und dem Aufbau einer Freundschaft keine Rolle. Jeder respektiert und akzeptiert jeden. Von Anfang an war es klar, dass das Kulturcafé im ev. Gemeindehaus ein Begegnungsort sein sollte und keinen Platz, um Leute zu missionieren. Als ein muslimischer Flüchtling gefragt wurde, was er mittwochnachmittags normalerweise mache, sagte er mit einem strahlenden Gesicht: "Ich gehe in die Kirche und treffe mich dort mit meinen Kirchenfreunden." Ohnehin sind insbesondere die Eheleute Schüle und Röcker die engsten Bezugspersonen für viele Asylbewerber aus Zell. Die regelmäßige Begegnung im Kulturcafé, aber auch die Unterstützung außerhalb der Caféstunde bedeutet für die Männer viel. Daher fielen manche Umzüge aus von der Sporthalle den Männern, die bereits ihre Aufenthaltsgenehmigung erhielten, schwer.
Die Röckers und Schüles waren sich einig, dass sie weiterhin für das Kulturcafé da sind. Bald wird die Belegung der Turnhalle Zell beendet und sie geräumt. In Zell wird demnächst eine neue Unterbringung für Flüchtlinge auf dem Park und Ride Gelände gebaut werden. Wie geht es dann weiter? Dafür haben die Eheleute Schüle und Röcker noch keinen Plan. Sie werden einfach sehen, was auf sie zukommt."Wenn die Männer in Deutschland bleiben können, wünsche ich ihnen ein normales Leben wie wir es führen. Eine Ausbildung, einen Beruf. Diese jungen Männer sollen glücklich sein", wünscht sich Eva Röcker von Herzen. Irmela Schüle wünscht, dass weitere und mehr Begegnungen zwischen Esslingern und Flüchtlingen stattfinden. Die Esslinger Bürgerinnen und Bürger sollen nicht nur über Migranten etwas erfahren, sondern auch Migranten begegnen, z.B. Gespräche mit Flüchtlingen führen. "Durch die Begegnung werden Vorurteile gegenüber Flüchtlingen abgebaut, weil man Kontakt zu ihnen bekommt, sich direkt über die Flüchtlinge informieren kann, sodass man sie mit Würde behandelt und ihnen angstfrei begegnen kann.", setzt Irmela Schüle fort. [Adi]
Herzlichen Dank für die freundliche Unterstützung von Birgit Duell.